>> Home   >> Veröffentlichungen   >> Medizinethische Materialien


Medizinethische Materialien 


 

Heft 100: Klaus V. Hinrichsen, Hans-Martin Sass: 10 Jahre Zentrum für Medizinische Ethik. Juni 1996

 
Inhalt: Grußwort des Dekans der Medizinischen Fakultät Prof. Dr. W. Opferkuch, Einleitung Prof. Dr. med. Klaus V. Hinrichsen, Mitglieder, Das Zentrum im Internet, Aufgaben und Geschichte, Veranstaltungen, Liste der Medizinethischen Materialien, Bochumer Arbeitsbogen, Presseausschnitte, Pressemitteilung der Pressestelle der Ruhr-Universität, Bochumer Arbeitsbogen auf englisch, chinesisch


Grußwort des Dekans der Medizinischen Fakultät

Die vorliegende Publikationsreihe Medizinethische Materialien des Zentrums für Medizinische Ethik, deren 100. Heft heute vorgelegt wird, gibt Anlaß, den Initiatoren des Zentrums für Medizinische Ethik und den heute an der Arbeit des Zentrums Beteiligten ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung zu sagen.

Die Bilanz einer nunmehr 10jährigen Tätigkeit kann sich wahrhaft sehen lassen: 100 Hefte mit einer breiten Palette von Themen, Analysen wie: Menschliches Leben und seine Würde; Modelle bioethischer Beratung und Entscheidung; Ethische Güterabwägung in der klinischen Pharmakologie; Ethische Probleme der künstlichen Ernährung,- Die Genomanalyse; der Ethik-Kreis der Medizinstudenten an der Ruhr-Universität; Hirnleben und Hirntod; Behinderung und Ungestalt; Sterbehilfe; Fürsorgen und Anteilnehmen - machen die Fülle der Probleme deutlich.

Alle, die sich mit medizin-ethischen Fragen beschäftigen, finden in diesen Publikationen wertvolle und wichtige Anregungen. Es ist zu wünschen und zu hoffen, daß dieses einmal begonnene Werk auch in Zukunft mit dem bisher gewohnten Engagement fortgeführt wird.

Wie läßt sich nun die Arbeit des Zentrums für Medizinische Ethik - diese Frage drängt sich dem Dekan einer medizinischen Fakultät geradezu auf - für die ärztliche Ausbildung der Studierenden fruchtbar machen? Es ist wohl nicht zu bestreiten, daß in zunehmendem Maße noch einer Orientierung an verbindlichen ethischen Leitlinien gesucht und gefragt wird. In den bisherigen Ausbildungsverordnungen besteht hier ein absolutes Defizit, das nicht durch Fächer wie Medizinsoziologie, Sozialmedizin etc. ausgefüllt werden kann. Der Ruf noch "Ganzheitsmedizin" ist ein beredter Ausdruck für diese Situation und die Studierenden haben durch die Gründung eines Gesprächskreises "Medizinethik" dieses bestehende Manko deutlich gemacht.

Es ist zu hoffen, daß diese Impulse weiterwirken und dazu beitragen, die praxisbezogene Auseinandersetzung in medizinethischen Fragen zum selbstverständlichem Bestandteil der Medizinerausbildung werden zu lassen. Nur so kann erreicht werden, daß auf dem soliden Fundament der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der durchaus segensreichen "Apparatemedizin" der Arztberuf durch die persönliche Hinwendung des Arztes zum Patienten das notwendige Gleichgewicht findet. Das Zentrum hat dieses Problem klar erkannt und bereits erste Schritte zu einer Lösung unternommen. Genannt seien hier das Seminar praktisch ethischer Probleme in der Neurologie bzw. die Ringvorlesung über Medizinische Ethik.

Es ist dem Zentrum für Medizinische Ethik zu wünschen, Mittel und Wege zu finden, diesen ersten Schritt in der Zukunft konsequent fortzuführen und auszubauen.

Professor Dr. W. Opferkuch

Dekan der Medizinischen Fakultät

Bochum, 24. Juni 1996




EINLEITUNG:

Die Vielfalt der Wertbilder und Weltanschauungen in unserer pluralistischen Gesellschaft sind ebenso wie die enormen technischen Fortschritte in der Biomedizin, medizinischer Praxis und Klinik konstitutiv für die Aktualität und Unverzichtbarkeit der Medizinischen Ethik in unserer Zeit. Die Überlegungen, der Diskussion medizinethischer Fragen ein Forum zu geben, sie zu intensivieren und damit zugleich neue Anstöße auszulösen, gehen in Bochum auf das Jahr 1985 zurück. Der Sozialmediziner Herbert Viefhues, der Philosoph Hans-Martin Sass und der Pädiater und Medizinhistoriker Erich Püschel ergriffen die Initiative, Interessenten aus verschiedenen Fakultäten, besonders aber aus der Medizinischen Fakultät für dieses Vorhaben zu gewinnen. Diese Gespräche begannen im Sommersemester 1985. Um eine möglichst vollständige Unabhängigkeit von Institutionen und Gremien zu gewährleisten, wurde kein Fakultäts-Übergreifendes Institut und auch nicht die Form des "an-Institutes", sondern die des eingetragenen Vereins gewählt. Der Zusammenhang zur Ruhr-Universität wie auch zur Medizinischen Fakultät ergab sich allein aus der Zugehörigkeit der Mitglieder.

Die eigentliche Gründungsversammlung fand am 24. Juni 1986, also vor nunmehr zehn Jahren statt. Als wesentliche Motive für die Gründung wurde ausgeführt, daß die großen und unaufhaltsamen Fortschritte der Technik die Frage nach dem Gegensatz von technischem Können und moralischem Sollen immer intensiver und jeweils neu aufwirft. Besonders in der Medizin reichen die überkommenen standesethischen Gesichtspunkte nicht mehr aus, um die durch neue Techniken und diagnostische wie therapeutische Möglichkeiten entstehenden Probleme und Konflikte befriedigend und überzeugend zu lösen und neue Handlungsanleitungen zu erarbeiten. Gerade vom Arzt werde in zunehmendem Maße die Fähigkeit gefordert, Argumentationen zu und Regelungen auch und gerade für Wertfragen leisten zu können. Die Erarbeitung eigener ethischer Maxime sollte der wachsenden Tendenz entgegenwirken, ärztliches Handeln und medizinische Forschung verordnungstechnisch zu regeln. Die öffentliche gesellschaftliche Diskussion bedürfe der fachkompetenten Ergänzung.

Auch wenn die formale Erarbeitung einer Gründungssatzung und ihre Unterzeichnung durch die Gründungsmitglieder (5.11.87), insbesondere aber die rechtliche Genehmigung und die Eintragung in das Vereinsregister (19.7.89) sich noch einige Zeit hinzog, war die Bildung eines interdisziplinären Diskussionsforum für Fragen der Ethik in der Medizin, des jetzigen Zentrums für Medizinische Ethik Bochum, die erste Gründung an deutschen Universitäten gewesen sein. Besonders hilfreich war dabei die enge Beziehung zum Kennedy Institute of Ethics in Washington, deren Mitglied Professor Sass damals war und auch heute in seiner Eigenschaft als Senior Research Scholar und Direktor des dortigen European Professional Ethics Programms noch ist. Jeweils im Wintersemester lehrt Prof. Sass an der Georgetown University in Washington, im Sommersemester an der Ruhr-Universität Bochum.

Von Anfang an haben die Mitglieder des Zentrums auch Wert auf die Repräsentanz der akademischen Lehre in Medizinischer Ethik durch Vorlesungen, Seminare und Falldiskussionen für Studierende der Medizin gelegt; diese Veranstaltungen wurden und werden auch von Angehörigen anderer Fakultäten besucht. Mit einer ebenfalls durch Professor Püschel inaugurierten, vom Zentrum völlig unabhängig studentischen Arbeitsgruppe "Ethik in der Medizin", die sich regelmäßig mit jeweils geladenen Vortragenden eigenverantwortlich trifft, besteht von Anfang an eine sich von Fall zu Fall konkretisierende Zusammenarbeit.

Nach dem Wortlaut der Satzung (§ 3) ist Zweck und Aufgabe des Zentrums die Förderung der medizinischen Ethik in Forschung und Lehre in Bochum. Das Zentrum bezweckt insbesondere den wissenschaftlichen Austausch als eine interdisziplinäre Kommunikation zwischen den Mitgliedern und nach außen zu fördern. Dieser besteht in der Sammlung und Verfügbarmachung einschlägiger Literatur und Nachrichten. Das Zentrum verwirklicht dieses in der Förderung und Durchführung öffentlicher Symposien, Arbeitstagungen, Lehrveranstaltungen, regionaler Aktivitäten sowie in der Intensivierung des internationalen Kontaktes gleichsinnig arbeitender Einrichtungen im Ausland. Die dabei erreichte öffentliche und überregionale Wirkung wird aus der Auswahl von Pressestimmen in diesem Heft deutlich.

Nicht ausdrücklich in der Satzung genannt ist ein Arbeitsmittel, daß sich in besonderer Weise für die Erfüllung der kommunikativen Aufgaben bewährt hat: Die Publikationsreihe "Medizinethische Materialien", die in Form der "grünen Hefte" nun schon über 100 Publikationen aufweist. Das Heft 100 dieser Reihe gibt Veranlassung, die bisherigen Aktivitäten des Zentrums zu resümieren, Rückblick zu halten, aber auch Rechenschaft über das bisherige Tun zu geben. Darum sind in diesem Berichtsheft alle bisherigen Aktivitäten des Zentrums zusammengestellt: Die Tagungen, Symposien und Falldiskussionen sowie die Publikationen. Nicht ganz vollständig ist die Auflistung der internen Zusammenkünfte der Mitglieder des Zentrums und jeweiliger Gäste, auf denen aktuelle Fragen in Referaten und Diskussionen behandelt wurden. Die Forschungskolloquien, aus denen die meisten der Publikationen hervorgingen, beschäftigen sich mit methodischen Fragen der Güterabwägung in der Medizin, Differentialethik und differentiellen Problemen des Medizinrechts, mit Fragen der Allokation begrenzter Ressourcen und der Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, Herausforderungen von genetischen Praediktionen und Gentherapie, Fragen der Akzeptanz und Bedeutung von Patientenverfügungen. Der methodische Ansatz zeigt sich in einer Konzentration auf Fallstudien und in der Nähe zur klinischen Praxis. Nicht wenige Positionen und Methoden der international rasant fortschreitenden Entwicklung in der Bioethik wurden in den "grünen Heften" zum erstenmal in den deutschen akademischen und gesellschaftlichen Diskurs eingeführt.

In seiner allgemeinen Zielsetzung steht das Zentrum in keinerlei Gegensatz oder Konkurrenz zu den inzwischen formalisierten Ethik-Kommissionen auf den verschiedenen Ebenen. Insbesondere die Aufgaben der Ethik-Komission auf der Ebene der Fakultäten oder Ärztekammern, zu konkreten Forschungsvorhaben oder neuen medizintechnischen Verfahren begutachtend Stellung zu nehmen, kollidieren nicht mit den allgemeinen Zielsetzungen des Zentrums. Andererseits sind Mitglieder des Zentrums für Medizinische Ethik in vielen fachmedizinischen örtlichen, nationalen und internationalen Gremien beratend oder als Mitglieder tätig.

Die Interdisziplinarität des Zentrums zeigt sich darin, daß schon von der Gründung an Kollegen aus der Evangelisch-theologischen Fakultät, der Philosophischen Fakultät und der Juristischen Fakultät zum engeren Kreis der Zentrumsmitglieder gehören und sich fallweise weitere Mitglieder anderer Fakultäten an den Arbeiten beteiligen. Hervorzuheben ist auch das Interesse und die Mitwirkung von Persönlichkeiten aus anderen Universitäten oder benachbarten Orten. Insbesondere aber zeigt die Liste der ständigen Abonnenten der Reihe "Medizinethische Materialien" wie auch die Liste der Autoren dieser Reihe, daß die Wirkung des Zentrums weit über die eigene Universität und die engere Region hinausreicht.

Das Zentrum finanziert sich im wesentlichen aus den geringen Erlösen der Medizinethischen Materialien, für die sich der Begriff der "grünen Reihe" eingebürgert hat. Es wird von der Universität durch die Nutzung von Räumen, durch die Medizinische Fakultät durch Personalmittel für eine studentische Hilfskraft unterstützt. Teilweise konnte das Zentrum aus den Zuwendungen der VW-Stiftung für medizinethische Forschungsvorhaben partizipieren. Die Gemeinnützigkeit ist anerkannt. Im Wesentlichen aber lebt das Zentrum aus dem Engagement und dem Idealismus seiner Gäste und Mitglieder. Zahlreiche Referenten sind ohne jeden Kostenersatz zu Vorträgen oder Diskussionen nach Bochum angereist.

Die längere Zeit seiner Existenz arbeitete das Zentrum unter der Leitung von Professor H. Viefhues, der aus seiner weiteren Kenntnis des Feldes der Sozialmedizin, seinem besonderen Engagement für Fragen der Ethik und seinen internationalen Verbindungen wesentliche Impulse für Tagungen und Symposien auch mit internationaler Beteiligung gab. In dankbarer Würdigung dieser wichtigen Initiativen wählten die Mitglieder Prof. Viefhues 1992 zum Ehrenvorsitzenden des Zentrums. Als solcher nimmt er weiter regen Anteil an der Arbeit. In jüngster Zeit hat sich das Zentrum, wie das Veranstaltungsverzeichnis ausweist, besonders aktuellen Fragen aus dem medizinischen Bereich zugewandt.

Dem Geist der Zeit entsprechend und auch der Notwendigkeit einer Vertiefung und Verstärkung des Dialogs über das Ruhrgebiet hinaus folgend, ist das Zentrum seit diesem Jahr auch mit Informationen über Veranstaltungen, Publikationen, Dokumentationen und Diskussionen im Internet unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/zme/zme.html vertreten und seit längerem schon per E-Mail unter webmaster@zme-bochum.de zu erreichen. Das Echo darauf und das Interesse für diese neuen Wege der Kommunikation ist erstaunlich groß und international.

Professor Dr. Klaus V. Hinrichsen

Vorsitzender des Zentrums für Medizinische Ethik

Bochum, 24.06.1996


 


deutsch